Das Prinzip der Abbildbarkeit der Natur in der Kunst, überhaupt die unmittelbare Aussagefähigkeit von Kunst – von Marcel Duchamp brillant in die Vergangenheit zurückgedrängt – hat sich in den nahezu 60 Jahren seit dieser unwiderruflichen Erledigung doch immer wieder Bahn gebrochen und triumphale Durchbrüche gefeiert. So recht Duchamp hatte, so adäquat seine geistreichen und provokanten Collagen den Bewusstseinszustand der Moderne ausdrücken konnten, so wenig hatte und hat die Kunst ihre Mittel erschöpft, ohne dass die Künstler gleich antimodern wären. Über eines konnte die Kunst nach Malewitsch, Kandinsky und eben Duchamp freilich nicht mehr ohne weiteres verfügen: Harmonie und Schönheit als in sich ruhender, fragloser Zweck der Kunstherstellung. Seitdem suchen Künstler, die sich über die Problematik der Wahrnehmung und der Aussagekraft aktueller Kunst bewusst sind, ihre Gestaltungen durch Steigerung und Übertreibung tragfähig zu machen. So entstanden durchaus große Kunstwerke. Das Modell, der Ausgangspunkt der Moderne, blieb jedoch ablesbar, fast immer wie ein Zitat.
Eine, die diese Methode der Steigerung ins Extreme vorangetrieben hat, bis zu dem Punkt, an dem es weh tut, die Lust der Farbe zum Schmerz wird, und – in kalkulierter Verzögerung – wiederum zur Lust, ist die Malerin Taiser Nasser. Ihr Malduktus im Umgang mit der Farbe ist geradezu ein Superduktus, der alles bisher Dagewesene in dieser üppigen Geste übertrifft. Nasser drückt sich aus, in dem sie die Farbe ausdrückt: ausladende Wülste und Würste, kühn und schreiend nebeneinander gesetzt – Rot neben Grün neben Gelb – dass einem die Augen übergehen. Diese Farbkörper scheinen in ihrer teigigen Konsistenz direkt aus Mutters Küche zu kommen, wo wir als Kinder nie richtig verstanden haben, warum diese wunderbar glänzende rohe Teigmasse in den Ofen verschwinden musste, um ein langweiliger trockener Marmorkuchen zu werden.
Die Urlust am Teig, am Kneten von Lehmwürsten beim Töpfern im Kunstunterricht, dieses Vergnügen am „Batzen“ wird evoziert beim Betrachten der Nasserschen Farbkörper. Und wie beim rohen Teig löst diese Malerei das Gefühl aus, die Bilder seien noch frisch, man müsse nur bzw. man dürfe reingreifen, um zu naschen, intellektueller gesagt: um diese Malerei weiterzudenken in einen endgültigen Zustand. Taiser Nasser erreicht dadurch Verzögerung und Angebot, geradezu im interaktiven Sinn. Dieser Zeitfaktor lässt ihre Kunst heraustreten aus dem Umfeld der gewohnten Tafelmalerei.
Solche Metamorphose eines Bildes vom anscheinend noch frischen zu einem späteren Stadium, die sich in der Phantasie des Betrachters selbst abspielt, ist wie ein Spaziergang in einen anderen Raum (wohl ins Mutterland der Malerei – letzten Endes in die Natur, wohin denn sonst!). Dieser wird erleichtert dadurch, dass auch die Farbe schon die Leinwand verlässt, überschwappt und die Bildträger wie Skulpturen aus der Wand herausragen, als Startrampen zur Reise in eine phantastische Farbwelt, in den Zauberwald der Malerei.
In diesem Farbraum werden Geschichten von der Farbe und ihrem Ursprung assoziierbar, wie im Märchen vom Mädchen und dem Zauberbrei: die Geschichte von der Farbe, die immer weitergelaufen ist, und die Breie aus Rot und Grün und Gelb und Braun, die nicht mehr aufgehört haben zu quellen, bis der Maler die Farbmagma mühsam zurückgebannt hat auf die Leinwand, wo sie dann vorerst einmal erstarrt, aber jederzeit auch die Rechtecke des Bildkörpers verlassen könnte. Da würde sich diese Geschichte mit der vom Zauberlehrling treffen, doch im Gegensatz zum vorwitzigen Schüler, der die Formeln des Zauberbuches nicht richtig lesen kann, ist unsere Malerin eine Meisterin ihres Faches, die ihre dramatischen Wirkungen, Übersteigerungen und Übertretungen präzis kalkuliert und die die Bücher zu lesen weiß: das Buch der Malerei wie das Buch der Natur.
Die starken sinnlichen Effekte der Farbkörper – gleichermaßen für Auge und Bauch – stellt Nasser in den höheren Dienst einer Aufgabe, die ihr als Malerin in der heutigen Zeit gestellt ist: Es ist Widerstand angesagt gegen den planlos zufälligen Farbenbrei, wie er uns jeden Tag in sinnloser Künstlichkeit über die Medien als eine wahre Sintflut erreicht. Taiser Nasser ist freilich nicht allein in diesem Widerstand aus der Kenntnis und dem Respekt vor der Natur heraus. Ihr Kollege Helmut Dirnaichner etwa, Wahlmailänder, zermalmt in der Natur aufgefundene Halbedelsteine im Mörser und rührt die so entstandenen Pigmente reinster und vollkommenster Farben in ungebrochener Leuchtkraft als Paste in eine selbstgeschöpfte Papiermasse, mit dem Ergebnis einer überwältigenden Haptik und Originalität, ohne Erfordernis der Figürlichkeit. Obwohl Taiser Nasser völlig anders arbeitet, verbindet sie mit Dirnaichner die Suche nach dem Ursprung, in dem beide die alten Gesetze der Farbenherstellung und Farbmischung präzisest befolgen. Bei Dirnaichner kommt es zur unmittelbaren materiellen Verwandlung von Natur in Kunst – materiell wie spirituell. Bei Nasser wird in der Übertretung der Tafelbildmalerei und ihrer ursprünglichen Funktion der Abbildung von Landschaft und Mensch, also Natur, dieser Malerei (zumindest für uns Heutige) ein letztes Denkmal gesetzt und zugleich …….. erstes einer neu ansetzenden Farb…...-Malerei.
Wie auf den ersten Blick nicht zu vermuten, sieht Taiser Nasser die Motive und Farben ihrer Bildkörper erst einmal in der Natur, die sie memoriert und dann aufträgt. Hier stellt sich eine Verbindung her, die weit vor Nolde oder den Fauves liegt: In der Komposition der kalkulierten Trompe-l’oeils, sind ihre Bilderfindungen aus Früchten zusammengesetzten Gesichtern Arcimboldos – abstrakte Notate ohne den allegorischen Verweisungscharakter dieser Kunst des 16. Jahrhunderts auf eine außerhalb stehende Welt- und Natursicht und ohne diese Manier, doch mit vergleichbarem Wahrnehmungsspiel.
Dem Werk von Taiser Nasser kommt über ihre ästhetische Qualität und haptische Evokation programmatisch intervenierende Wichtigkeit zu. Sie zeigt, dass jede Exzessivität und Exzentrität in der Kunst, sofern sie einem selbstständigen Natur- und Menschenbild entspringt, zur Waffe taugt im Überlebenskampf gegen das Verschwinden von realem Raum, von Artenvielfalt und von der Eigenart der Menschen, mit ihrem schöpferischen Potential. In Anbetracht der Inflation von virtuellen Räumen und artifizieller Kopierbarkeit der Natur und der Menschheit, nur noch gedachten, ist Taiser Nassers’ Position deshalb eine kunst- und kulturkritische; gewiss keine Schönmalerin, in dem sie die Farben nur pastoser aufträgt als alle anderen.
Elmar Zorn