Alchemie der Farben - Jochen Boberg

Am 7. Februar 1798 schrieb Goethe, nachdem er sich intensiv mit der Farbenlehre und der Farbtheorie beschäftigt hatte, an Wilhelm von Humboldt, dass die Geschichte der Farbe „wie natürlich, die Geschichte des menschlichen Geistes im Kleinen“ abzubilden vermag. Und Paul Cézanne sah die Farbe gar als den Ort, wo unser Gehirn und das Weltall sich begegnen (zitiert aus dem Aufsatz von Christoph Wagner zur Ausstellung „Kosmos Farbe. Itten – Klee“ im MueumsJournal 2- 2013, Berlin).
Nach einigen Vorläufern fing mit Cézanne jene „Augenmalerei“ an, die bis hin zum Pointillismus die bis dahin bekannte Struktur des menschlichen Auges reflektierte, nicht die geschaffene Wirklichkeit, sondern das sehende Subjekt zum Ziel hatte.
Damit war der Weg frei zu der Einsicht, dass Bilder, Räume, Farben nicht als Projektion auf den Aughintergrund gegeben sind, sondern erst nach chemischen, dann „elektronischen“ Prozessen im Gehirn erstellt werden. So sind optische Täuschungen erklärbar, perspektivische Verschiebungen, individuelle „Verblendungen“. Und da das ganze im Zentralorgan des Menschen stattfindet, ist auch die psychische Wirkung von Räumen, Architekturen und vor allem Farben nahe liegend.
Schon die frühesten uns bekannten Kulturen haben Farben aus der Natur gewonnen, um Bilder zu schaffen, als eigene Setzung in der Welt, zunächst am eigenen Körper, dann in Höhlen und schließlich in gebauten Räumen.
Die Religionen waren sich von Anfang an der Wirkkraft der Farben bewusst, setzten sie zielgerichtet ein bis hin zu den komplexen Spielen des Barock. Sie erzeugten Scheinwelten für eine nur glaubbare Wirklichkeit des Göttlichen.
Auch der philosophische Geist hat sich mit den ersten Aufzeichnungen den Farben zugewandt, Phänomene wie den Regenbogen oder die Morgenröte in halsbrecherischen Theorien gespiegelt.
Goethe hat also wohl recht, wenn er die Geschichte der Farbe zu der des menschlichen Geistes ins Verhältnis setzt, und auch die Anmerkung von Cézanne kann zutreffend sein.

Für viele Lebewesen gibt es keine Farben. Farbe ist kein Ding an sich. Sie entsteht auf Grund von Impulsen im Gehirn. Dabei wird Farbe vom Licht gewirkt. Das Maß der Reflexion von Oberflächen, die Reflexion auch aus der Tiefe des Materials bestimmen unsere Farbwahrnehmung. Dämmerung, gar Dunkelheit „verschlingt“ die Farben – auch als gemalte, wie bei den ersten „Nachtbildern“ z.B. von Adam Elsheimer.

Wenn „Farbe“ ganz explizit und ausschließlich zum Gegenstand der Kunst wird, ist damit eine große Herauforderung gesetzt. Man findet sich im weiten Kreis der Theoretiker und Künstler, die sich diesem Thema widmeten. Philipp Otto Runge, neben C.D. Friedrich der bedeutendste Maler der norddeutschen Romantik, schuf die erste dreidimensionale Darstellung der Farbkugel mit schwarzem und weißem Pol und geriet darüber in Dialog mit Goethe. Im 20. Jahrhundert war es das Bauhaus, waren es die Künstler Johannes Itten und Paul Klee, die unser Bewusstsein von Farbe vorantrieben. Klee schrieb in seinen Tagebüchern: „Die Farbe hat mich. Ich brauche nicht nach ihr zu haschen. Sie hat mich für immer...“. Viele bedeutende Künstler folgten ihm.

Für Taisa Nasser ist der Satz von Klee offenbar zielgebend. Sie sagt: Die Farbe ist das Grundelement meiner Werke. In meiner Arbeit finden sich die subjektiven Eigenschaften der physiologischen und psychologischen Wahrnehmung. Ich schaffe frappierende und auch Ruhe gebende Kompositionen, die den Betrachter in ein Wechselspiel einbeziehen, im Bewusstsein psychische Wirkungen mit kathartischem Effekt hervorrufen.“
Bis zu 144 Farben bringt sie unvermischt ins Bild, setzt sie nach ihrem Empfinden in Bewegung, mal geordnet, mal in scheinbarem Chaos. Und das Eigentümliche: die Bilder wirken nicht „bunt“, sondern im besten Sinn „farbig“.
Ein Grundsatz künstlerischen Arbeitens ist die Aussage: die Kunst muss immer wieder durch die Materie hindurch. Ein erhellendes Beispiel ist der Wandel von der Frührenaissance zur Hochrenaissance, von der polierten Bronze und den glasierten Keramiken zum Marmor, vom stark reflektierenden Material zum Licht aufnehmenden Marmor, vom Körper zum Leib, dem beseelten Körper als Zeichen humanistischer Weltsicht.

Der Materie, dem Material ihrer Werke begegnet Taisa Nasser so: Die Materie ist Fleisch und Haut des Bildes. Die Materialität ist Grundelement der Malerei; sie ist unerlässlich, ist eine empfindsame Substanz, durch die für mich jene Energie anschaulich wird, die die atomare Struktur unserer Welt in Dynamik versetzt. Die Energie ist der Hauch Gottes, der alle Essenz, alle spirituelle Essenz aktiviert. Damit folgt Taisa Nasser unserem Wissen um Mikro- und Makrokosmos und nähert sich ihm auf eine ganz besondere Weise. Der Stoff, aus dem alles ist, führt sie zu einer Anschauung, in der der Mensch – geradezu alchemistisch - „sich selbst erkennen und die Gesamtheit als Einkehr entdecken“ kann.

Vor diesem Hintergrund werden drei Aspekte der Arbeiten von Taisa Nasser verstehbar.
Sie arbeitet mit einem Material, das sich reliefartig auf ihren Bildern türmt, auch optisch Schwere vermittelt und Farbe wie ein schwarzes Loch an sich bindet um sie dann doch wieder frei zu geben. Die Textur der Farbkörper ist mineralisch grob, eine haptische Provokation, die dazu führt, dass selbst die größten Materialtürmungen  scheinbar keine Schatten werfen, so als handele es sich um Farbkörper an sich –  bedingungslos.
Sie ordnet die Farbköper auf den Flächen teilweise in erkennbaren Strukturen, Bewegungen, dann wieder in scheinbar chaotischem Verlauf, entsprechend der Mikrostruktur aller Materie. Die Tonalität, die Vielfalt der Farben folgt dem je gewählten Weg. So entstehen eigentümlich komplexe Werke, die sich der Meditation anbieten. Taisa Nasser weiß um diese Eigenart. Sie bezieht sich z.B. auf das Mandala, die mystischen Kreis- oder Vieleckbilder in den indischen Religionen, die in flüchtigem Material zur Meditation führen sollen. Bei C.G. Jung sind es Traumbilder oder von Patienten gefertigte Bilder, die zur Selbstfindung dienen. Das Besondere: Taisa Nasser fixiert die Bilder wie für eine Ewigkeit und entzieht sie so der Subjektivität, der vergehenden Stimmung, dem kurzen Augenblick.
Im Wissen, dass alle Materie im Grunde aus energetischer Bewegung besteht, im Kern nichts Festes hat, ist das Verstehen der Dynamik in den Werken von Taisa Nasser ein Weg, ihre Wahrheit zu erkennen. Deutlich wird das an dem Film, den sie zu ihren Arbeiten inszeniert hat: sich bewegende Körper, Paare, bewegtes Wasser, vom Wind bewegte Bäume, verwehende Figuren im Sand, immer wieder überschnitten mit ihren Bildern. Man entdeckt eine überraschende Koinzidenz, sieht die Bilder neu.

Es wird klar: Taisa Nasser Bilder sind keine Objekte des ersten, flüchtigen Blicks. Man muss gewohnte Vorurteile ablegen, das schnelle Urteil vermeiden, sich auf das vor Augen stehende einlassen, sich selbst wahrnehmen und zum Sichtbaren ins Verhältnis setzen. Dann sind die Werke von Taisa Nasser ein wirkender Gewinn.

Jochen Boberg


Jochen Boberg - Taisa Nasser
Jochen Boberg

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